Im Herbst 1977 war ich von der Marke MZ gründlich enttäuscht. Zwar hatte die Viergang-TS meine Frau Sigrid und mich Tausende Kilometer quer durch Europa befördert, aber zwei Motorschäden in vier Wochen waren einfach zuviel. Außerdem wollte ich endlich mehr Power, bessere Bremsen und eine bequemere Sitzbank haben. Ein tourentauglicher Viertakter musste her, und zwar bald.
Mein Augenmerk fiel auf die bayerischen Boxer, was nicht zuletzt an Ilse Reuter lag, der Redakteurin einer ziemlich bekannten Motorradzeitschrift. Ihr auflagenförderndes Abbild zierte regelmäßig die Titelseite, wenn das Magazin wieder einmal einen BMW-Test veröffentlichte. Von der als Covergirl kokettierenden Redakteurin erfuhr ich, dass die soeben neu vorgestellte R 100/7 einen extrem elastischen Motor habe und sich deshalb für Urlaubsfahrten mit viel Gepäck besonders eigne. Leider gab es da einen Haken: der Kontostand unseres Studentenhaushalts. Aber für eine 750er aus dem Hause BMW hätten die gemeinsamen Erträge aus sechs Wochen Ferienarbeit beim Daimler wohl ausgereicht.
Die schöne Ilse.
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Natürlich sah ich mich auch bei der Konkurrenz um. Da ich die gängigen Vierzylinder für kompliziert und anfällig hielt, kamen nur großvolumige Twins vom Schlage einer Yamaha XS 650 oder einer Kawasaki Z 750 in die engere Wahl. Sie waren billiger in der Anschaffung als ein bayerischer Boxer, doch langten die Japaner bei den Ersatzteilpreisen unverschämt zu. Die Liste der Nachteile war damit noch nicht zu Ende: Kleinere Tanks, offene Ketten, ungeprüfte Haltbarkeit und eine fragwürdige Ersatzteilversorgung sprachen eher gegen ein Produkt aus Fernost.
Während ich noch über diversen Tabellen und Leistungskurven brütete, erschien eine Anzeige in der Zeitschrift „Das Motorrad“. Der Hildener BMW-Händler Otto Labitzke pries darin eine nagelneue R 75/7 mit doppelter Scheibenbremse an. Der Preis war höchst attraktiv: 7.500 Mark sollte sie kosten. Ich redete mit Sigrid und meinem Bankberater, griff zum Telefon – und kaufte die Maschine. Am 13. Oktober 1977 enterte ich frühmorgens einen D- Zug und holte sie in Hilden ab.
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Ich nahm mir zwei Tage Zeit, um „die Neue“ nach Hause zu führen. Bei wunderbarem Herbstwetter ging es entlang des Rheins nach Mainz, wo ich bei Bekannten übernachtete und anderntags die Reise fortsetzte. Die gemütliche Fahrt über kleine und winkelige Landstraßen nutzte ich dazu, die Eigenheiten der BMW aufzuspüren. Eine davon hatte mir die schöne Ilse bereits verraten: „Lässt man die Kupplung langsam kommen, hat der BMW-Neuling die Empfindung, er starte nicht vorwärts, sondern erhebe sich mit dem gesamten Gefährt schnurstracks senkrecht in die Lüfte. Denn das Fahrzeug kommt aus den Federn heraus, weiter, immer weiter…“ Letztendlich ging es dann aber doch vorwärts. Eine andere Diagnose der MOTORRAD-Redakteure konnte ich dagegen nicht nachvollziehen. Das vielfach kritisierte Getriebe ließ sich problemlos schalten. Meine Erfahrungen mit dem rustikalen Vierganggetriebe der MZ mögen dabei hilfreich gewesen sein.
Stolz wie Oskar.
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Zu Hause angekommen, hatte ich nichts weiter zu tun, als meine Gummikuh wieder einzumotten. Das war hart. Während des langen Winters hielt ich mich psychisch über Wasser, indem ich Motorradkoffer von Krauser und einen Elefantenboy von Harro kaufte. Am 29. April 1978 war unsere Geduld schließlich zu Ende. Wir packten und starteten bei strahlendem Sonnenschein nach Frankreich Diesmal sollte es in die Provence gehen. Die ersten Kilometer waren unbeschreiblich. Statt eines scheppernden Zweitakters mit bescheidenen 19 PS trieb eine wuchtige Dampflokomotive die Fuhre kraftvoll voran. Überholen wurde zum Kinderspiel. Ich verfiel in einen regelrechten Glücksrausch. Bei Donaueschingen machten wir Rast und bemerkten mit tiefer Befriedigung, dass sich ein zufällig anwesender Fußgänger vor uns in den Staub warf. Ob es nun die Schönheit meiner Frau war, die ihn überwältigte, oder aber der majestätische Anblick des klassischen Boxermotors, blieb ungeklärt.
Adoration
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Der zweite Fahrtag wurde aus mehreren Gründen zur Tortour. Der erste bestand darin, dass ich mir einen Infekt gefangen und die halbe Nacht auf der Hoteltoilette zugebracht hatte. Fiebrig musste ich das Motorrad besteigen und einen kräftezehrenden Kampf gegen den ausgesprochen böigen Regen aufnehmen, der pausenlos auf unsere Regenkombis und Helme prasselte. Das grauenvolle Wetter bildete demgemäß die zweite Erschwernis dieser Fahrt. Nur langsam kämpften wir uns bis nach Lyon voran und nahmen von da an die Landstraße rechts der Rhone. Bei Rochemaure ging es nicht mehr. Ich fühlte mich hundeelend und schwach. Als ich zum Tanken von der Gummikuh abstieg, drohten wir gar den verölten Boden zu küssen. Nur die Tanksäule verhinderte den Woytila-Gruß. Um Schlimmeres zu vermeiden, bezogen wir umgehend Quartier in dem kleinen Ort.
Trocknende Klamotten im Hotel. Nicht bei dieser Tour aufgenommen, aber anders sah es auch 1978 nicht aus.
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Die Nacht war fiebrig und dauerte endlos. Am nächsten Morgen war alles überstanden: Ich fühlte ich mich besser und hatte sogar Appetit auf das, was man in französischen Hotels für ein angemessenes Frühstück hält: eine erbärmliche Ansammlung von 20 Zentimetern Weißbrot, einem Fingerhut voll Butter und zwei Tiegelchen Marmelade, deren überbordender Zuckergehalt jeden Anflug von Fruchtgeschmack gnadenlos abtötet. Das Wetter passte gut zur Speisequalität. Regen klatschte an die Scheiben und wertete den tristen Frühstücksraum zu einem heimeligen Hort von Wärme und Geborgenheit auf, den zu verlassen große Überwindung kosten würde. Waren wir wirklich so weit gefahren, um das zu erleben?
Das miese Wetter hielt den ganzen Morgen über an. Entsprechend gedrückt blieb die Stimmung. In der sichtraubenden Gischt vorausfahrender Autos führte uns die Fahrt über Orange und Carpentras auf das Plateau de Vaucluse. Dort steht ein Juwel romanischer Baukunst: das Zisterzienser-Kloster von Senanque. Schon der äußere Anblick machte alle Strapazen vergessen: In einsamer Lage - von bewaldeten Bergen umschlossen - erhob sich das massive Bauwerk vor uns. Man konnte sich auch 850 Jahre später noch vorstellen, was die Ruhe suchenden Mönche einst bewogen hatte, in diesem verlassenen Tal ihren Klausurorden zu gründen. Wir erwiesen dem Kloster Referenz und besichtigten es ausgiebig.
Senanque (1996 kamen wir wieder.)
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Dem Himmel schien die klösterliche Einkehr zu gefallen, denn er verschloss kurz darauf seine Pforten. Dass der Ort Lumiéres hieß, in dessen Nähe das graue Firmament erstmals wieder Licht durchließ, hatte man sicher als Wink von ganz oben zu verstehen. Pfarrer Braun wäre entzückt gewesen. Wir waren es auch: Unsere Laune stieg jedenfalls schlagartig an.
Licht bei Lumieréres.
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Den Nachmittag und die Nacht verbrachten wir in Aix-en-Provence, der Schwesterstadt unseres Studienorts Tübingen. Wir flanierten über den vornehmen Cours Mirabeau, dankten den alten Platanen für ihren Schatten und bewunderten die Brunnen und Denkmäler der alten Universitätsstadt. Gut erhaltene Straßenzüge im barocken und klassizistischen Stil bildeten einen reizvollen Hintergrund für den geschäftigen Trubel der Innenstadt. Überall waren junge Leute unterwegs. Wir genossen die lebendige Atmosphäre und suchten gegen Abend ermattet und hungrig ein Lokal im historischen Zentrum auf. Ob es nun dem Weingenuss zu verdanken war oder nur unserer Ortsunkenntnis, dass sich dem Abendessen eine lang anhaltende Suche nach unserem Quartier anschloss, ist mir nicht mehr gegenwärtig, wohl aber der Umstand, dass wir die Altstadt dabei vollständig umrundeten.
In irgendeinem Park.
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Der folgende Tag entschädigte uns für sämtliche Strapazen: Die Sonne schien von einem nahezu wolkenlosen Himmel, und die Temperatur stieg auf ein sehr angenehmes Niveau. In aller Ruhe beluden wir unsere Gummikuh, tuckerten gemächlich zur Küste und nahmen in Cassis einen Kaffee ein. Zwei Stunden später gab es Milch, Käse und Baguette in La Ciotat. Auf einer Parkbank ließen wir uns die Sonne aufs Haupt scheinen und schauten den Schiffen im Hafen beim Laden oder Löschen zu. Was war das Leben herrlich!
Im Hafen von La Ciotat. Autor und BMW leider vom güldenen Auto fast verdeckt (ganz links).
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Die riesigen Frachter brachten mich auf eine Idee: Toulon besaß ja einen Kriegshafen, in denen die Prachtstücke der französischen Marine ankerten. Diese wollte ich mir unbedingt ansehen. Also warfen wir den Boxer wieder an und fuhren die Küste entlang nach Osten.
In Toulon wartete eine herbe Enttäuschung auf uns. Die Ausschilderung war derart schlecht, dass wir orientierungslos in der Stadt umher irrten und in unseren Lederkombis allmählich zu schwitzen begannen. Nach 15 Minuten frustrierender Suche gab ich auf: Zur Abkühlung flüchteten wir in die nahe gelegenen Hügel, legten am Circuit Paul Ricard eine Gedenkpause ein und fuhren von dort aus weiter nach Norden. Gegen Abend wurde es märchenhaft: Die langsam untergehende Sonne tauchte das einsame Busch- und Riedland in ein sehr mildes Licht und sorgte für eine außergewöhnlich zauberhafte Stimmung. Wäre jetzt Faun, der altrömische Gott der freien Natur, am Wegesrand erschienen, hätte uns das kaum überrascht.
Provence im Frühling – einfach herrlich.
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Mit Mühe und Not orteten wir im schwindenden Tageslicht endlich ein akzeptables Hotel. Es lag im Ortskern von Rians und hieß „Hostellerie de l’Esplanade“. Hier gab es einen Luxus, den wir schon lange vermisst hatten: ein sauberes Etagenbad, das zur hemmungslosen Benutzung förmlich einlud. Als regelrechter Volltreffer erwies sich das Haus aber aus einem ganz anderen Grund: Die Köchin war eine uralte Oma, die ihr Metier meisterlich beherrschte. Von ihrem Daube Provencal (Schmorfleisch) schwärmen wir jedenfalls noch 32 Jahre später.
Der folgende Tag begrüßte uns mit herrlichem Wetter. Zügig schraubten wir uns weiter in die französischen Voralpen hinein und stießen bei Moustiers auf den Verdon, dessen gewundenem Lauf wir bis Castellane folgten. Die unendliche tiefe Schlucht, die der kleine Fluss im Laufe der Jahrtausende geschaffen hatte, bot einen wahrhaft spektakulären Anblick. Dieses Panorama lenkte mich offenbar so stark ab, dass ich eine der vielen Kurven unterschätzte und etwas zu schnell anging. Im Scheitelpunkt schloss ich den Gasgriff, hatte aber die Rechnung ohne den Kardanantrieb meiner Gummikuh gemacht. Sie sackte in sich zusammen, küsste mit irgendeinem Rahmenteil den Boden und rutschte nach außen weg. Mühsam konnte ich einen Sturz vermeiden, fand mich aber plötzlich auf einer Maschine wieder, deren eingeschlagener Kurs erheblich vom Straßenverlauf abwich. Es sollte noch weitere bange Sekunden kosten, bis ich das Wildpferd wieder in den Griff bekam.
Verdonschlucht
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In Castellane tranken wir Kaffee und bogen nach Westen ab. Die Fahrt führte uns entlang der Route Napoleon bis nach Malijai und dann über die Durance hinweg auf das Plateau de Christol. Da es langsam Abend wurde, hielten wir nach einer passenden Unterkunft Ausschau. Sie fand sich in einem kleinen Ort namens Banon. Das Hotel „Les Voyageurs“ besaß angenehme Zimmer und einen attraktiven Speisesaal, den wir müde und hungrig aufsuchten. Während des Abendessens überfiel mich ein heftiger philosophischer Anfall. Ich dozierte über die quälenden Fragen des Lebens: das Weltall, seine Unendlichkeit und die Unmöglichkeit, das Wort Existenz in seiner Bedeutung zu begreifen. Ich erlegte mir keinerlei Hemmungen auf, denn unsere einzigen Nachbarn in Hörweite sprachen ja Französisch – jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, als sie gezahlt hatten und uns in bestem Hochdeutsch „Gute Nacht“ wünschten. Sie waren Urlauber wie wir und hatten wahrscheinlich jedes einzelne Wort verstanden. Mir war das unendlich peinlich.
Unsere Unterkunft in Rians - mit Markise und roten Stühlen darunter.
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Um diesen Schreck zu verdauen, nahmen wir einen Absacker in der benachbarten Bar. Nach dem zweiten Glas bekamen wir Besuch. Ein Mittvierziger begab sich zu uns und brachte die Sprache auf meinen Boxer. Gerührt über so viel Interesse ließen wir ihn Platz nehmen und beantworteten seine Fragen nach dem Woher und Wohin. Der Bursche war sehr charmant und kannte sich im Umgang mit dem anderen Geschlecht offenbar bestens aus. Jedenfalls startete er schon bald eine erdrückende Offensive südländischen Charmes. Sigrid registrierte sie mit der Gelassenheit einer Frau, die schon wesentlich bessere Angebote erhalten - und abgelehnt hatte: Sie lächelte sybillinisch. Am nächsten Tag sahen wir ihn wieder. Er stand auf dem Marktplatz und verkaufte Gemüse. Daher also stammte sein versierter Umgang mit dem schönen Geschlecht.
1978 noch typisch im ländlichen Frankreich: ambulanter Einzelhandel.
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Am nächsten Morgen musste ich tanken. Dabei quoll die Tankdeckeldichtung auf und war nicht mehr in Form zu bringen. Unser nächstes Zwischenziel stand damit fest: der BMW-Händler von Tulette, einem kleinen Ort, der etwa 20 km nördlich von Orange liegt. Da uns das Wetter wohl gesonnen war, wählten wir die schönste Route aus, die uns die Karte zu bieten hatte. Sie führte über St. Trinit in die malerische Gorges de la Nesque. Bei Carpentras tranken wir Kaffee und sogen wieder einmal die verführerische Atmosphäre des ländlichen Frankreich in uns auf.
Fahrtpause im Café von Cassis. Der R 4 kam unverhofft für die Fotografin.
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Der freundliche BMW-Händler von Tulette konnte uns nicht helfen. Wir nahmen es gefasst zur Kenntnis und hielten Ausschau nach neuen Zielen. Sonnenschein und Entdeckerdrang verführten uns zu einem Abstecher an die malerische Ardeche. Auf einem Campingplatz bei Chames schlugen wir beglückt unser Billigzelt auf und priesen den vorangegangenen Entschluss: Die pittoreske Schlucht war wirklich überwältigend. Eindrucksvoll waren auch der Temperatursturz und der heftige Dauerregen, der uns am nächsten Morgen aus dem Schlaf riss. Betrübt mussten wir erkennen, dass unsere Einfach-Behausung zwar von unten, aber keineswegs auch von oben wasserdicht war. Und da ihr eine Apsis fehlte, unter der man seine Sieben Sachen hätte abstellen können, lagen Helme und andere Ausrüstungsgegenstände völlig ungeschützt im prasselnden Regen herum.
Wir waren zutiefst deprimiert und retteten uns in einen nahen Schnellimbiss. Dort frühstückten wir ausgiebig und versuchten den unangenehmen Zeltabbau so lange wie möglich hinauszuschieben. Nach sechs bis sieben belegten Baguetten und zwei Stunden Kaffeetrinken fiel uns leider nichts mehr ein, was einen weiteren Aufschub hätte begründen können. Also stiefelten wir ergeben in den Regen hinaus und erledigten endlich die unangenehme Arbeit. Einen schaurigen Höhepunkt bildete das Aufsetzen der tropfnassen Helme, deren voll gesogene Futter ekelhaft kalte und feuchte Rinnsale in unsere Nacken entließen.
Packen im Regen. Macht immer wieder Spaß!
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Der Himmel stellte eine klare Prognose: Trocken würde es so schnell nicht wieder werden. Missmutig stiegen wir in unsere Regenpellen und nahmen die engen Sträßchen des Massif Central unter die Räder. Unser Kurs führte über Vallon, Aubenas und Tournon wieder in das Rhonetal. Von Lyon aus wählten wir die Route Nationale 83 in Richtung Besancon. Dabei froren wir ganz erbärmlich. Trotzdem mochten wir keine Aufwärmpausen einlegen. Wer entert schon gern ein Lokal in voller Regenmontur, zieht seine Klamotten unter den mitleidigen Blicken der insgeheim amüsierten Gäste umständlich aus, um sich 20 Minuten später ebenso mühsam wieder anzukleiden. Am Ende vergaß man sowieso den Zündschlüssel in der Hosentasche und durfte die halbe Prozedur wiederholen. Und saß man dann endlich auf dem Moped, sorgte der vereinnahmte Kaffee dafür, dass man zügig aufs Töpfchen musste und das ganze Spiel von vorne begann. Als Ergebnis solcher Überlegungen blieben wir dort, wo wir bereits waren: auf unserer BMW - und froren weiter. Darunter litt auch die Moral: Ich neidete den vorausfahrenden Autofahrern ihren trockenen Unterschlupf und stellte mir ganz ungeniert vor, im Handstreich ihren Platz zu erobern. Ich bin mir ganz sicher, Sigrid erging es ebenso.
Tristes Bild: Im Zentralmassiv. (Aufnahme der Sozia vom Sattel aus)
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In dieser kläglichen Verfassung schafften wir es bis nach Clerval und stiegen im „Hotel de la Paix“ ab, einer Bruchbude mit angeschlossenem Restaurant, die wir von früheren Reisen her kannten und fürchteten. Es passte zum Tagesablauf, dass ich eine „unmögliche Bedienung“ in meine Reisenotizen eintrug. Dem Schlaf war das nicht abträglich. Am nächsten Morgen stiegen wir tapfer wieder auf unseren fahrbaren Untersatz und trotzten heldenhaft dem unvermindert anhaltenden Regen. Im Schwarzwald war er so stark, dass sich trotz unserer guten Ausrüstung Handschuhe, Stiefel und Lederhosen voll sogen. Am frühen Abend trudelten wir endlich in Tübingen ein. Wir hatten 2.400 km in den vergangenen acht Tagen zurückgelegt und waren froh darüber, dass sie hinter uns lagen – und dass wenigstens hier die Sonne schien.
Nach diesem Urlaub gab es besonders viel zu putzen.
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Reiserouten:
1. Hinfahrt:
http://maps.google.de/maps?f=d&source=s ... .51123&z=62. Rückfahrt:
http://maps.google.de/maps?f=d&source=s ... e=UTF8&z=6So, Ihr Lieben, das war die vorletzte Geschichte dieses Winters. In fünf oder sechs Wochen gibt es noch einen kleinen Nachschlag betreffend meine waidwunde, gelbe MZ und dann ruft hoffentlich der Frühling. Im Winter 2011/2012 stelle ich dann wieder vier bis fünf Stories ein, sofern ich darf.
Freundliche Grüße
Wolf-Ingo