Mit der Viergang-TS ans Mittelmer - Vier Jahrzehnte... (2)

Nach drei Jahren zu Fuß besaß ich 1975 endlich wieder eine eigene Mühle. Mit ihren 19 PS war die drehmomentstarke und 120 kmh schnelle MZ TS 250 ein ganz anderes Kaliber als meine schmalbrüstige DKW. In dieser Hinsicht war ich begeistert. Anders verhielt es sich mit der Zuverlässigkeit. Bereits auf der ersten längeren Tour ließ uns die Zonenfeile im Stich: Sigrid und ich hatten im August 1975 an einer Keltengrabung am Hochrhein teilgenommen und fuhren gerade zurück nach Tübingen. Es war tiefdunkle Nacht, ich betätigte den Abblendschalter, und schon standen wir mit geschmolzener Sicherung am Straßenrand. Die örtliche Autowerkstatt fand den Fehler zwar bald, aber leider erst nach einer kostenträchtigen Hotelübernachtung auf der Schwäbischen Alb.
Unten: Spärliche Ausrüstung im Sommer 1975.
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Anfangs bestand unsere Ausrüstung aus Jethelm, Sonnenbrille und billigen Arbeitshandschuhen aus dem Baumarkt. Daneben besaß ich ausrangierte Knobelbecher von der Bundeswehr und eine gebrauchte Panzerkombi, die das Versandhaus Räer für 30 Mark anbot. Sigrid musste sich gar mit ihren Jeansklamotten und einer Regenkombi als Fahranzug begnügen. Deren Grenzen bekamen wir bald zu spüren: Als wir am 2. April 1976 den spontanen Entschluss in die Tat umsetzten, übers Wochenende nach Straßburg zu fahren, froren wir im Schwarzwald ganz erbärmlich. Trotzdem schmiedeten wir beim abendlichen Weinabsacker auf dem Place du Corbeau unverdrossen Pläne für eine „richtige“ Motorradreise nach Südfrankreich. Eines war jedoch völlig klar: Unsere Ausrüstung musste zuvor erheblich verbessert werden.
Kurzes Intermezzo mit der Panzerkombi als Fahranzug.
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Zähneknirschend griffen wir tief in unsere Geldbeutel und kauften zwei Integralhelme der Marke Nolan. Das größte Loch in unser Budget rissen jedoch zwei Lederkombis, die wir beim Nagolder Lederfabrikanten Harro maßfertigen ließen. Von Räer kam ein winziger Benzinkocher namens Enders Baby und ein knallrotes Billigzelt. Letzteres hatte zwar keine Apsis, verwöhnte uns aber sehr zuverlässig mit fließendem Wasser, sobald es zu regnen begann. Weil das Nylondach dann auch noch seine Form verlor und mit zusätzlichen Schnüren daran gehindert werden musste, seinen Bewohnern auf dem Kopf zu kleben, erhielt die edle Behausung bald den bezeichnenden Namen „Pudding“.
Der Pudding
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Um das notwendige Reisegepäck unterzubringen, galt es auch das gelbe Zweitaktmonster aufzurüsten: Billig kam ich zu gebrauchten Taschenträgern, wie sie in der DDR üblich waren. Wasserabweisende Koffer baute ich mir in mühevoller Kleinarbeit aus Waschmittelkartons, Holzleim und Wachstuch selbst zusammen. Die edlen Behälter sollten mich noch Jahre später auf der MZ begleiten, um dann 1989 einen elenden, aber stilvollen Ertränkungstod zu sterben. Wein, nicht Wasser, setzte ihrem bewegten Leben am Nordkap ein Ende.
Nach Mitternacht. Der Kofferbau erwies sich als sehr aufwändig.
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Auch Sigrid unterstützte tatkräftig unsere Aufrüstung. Im Mai 1976 setzte sie sich tagelang an ihre Nähmaschine und steuerte einen selbst gebauten Tankrucksack bei. Er ziert noch heute unseren Keller.
Sigrids Werk ist vollendet.
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1976 stand ich an einem Scheideweg: Seit mehreren Semestern studierte ich Altorientalistik, hatte aber mittlerweile das Gefühl, beruflich auf einem Holzweg zu sein. Also beschloss ich, abseits des Studienorts eine Phase der Neuorientierung einzulegen. Voller Zuversicht sattelte ich mitten im laufenden Semester meine Zonenfeile, um gemeinsam mit Sigrid das sonnige Südfrankreich anzusteuern.
Mitte Juni begann unsere Reise in Tübingen. Herrliches Wetter begleitete die gemütliche Fahrt über kurvige Nebenstrecken des Schwarzwalds ins benachbarte Elsass. Bei Marckolsheim planten wir den Grenzübertritt nach Frankreich. Die Wahl dieses abgelegenen Ortes sollte sich als ausgesprochen unglücklich erweisen. Die französischen Zöllner dort interessierten sich nämlich nicht nur für unsere Papiere, sondern seltsamerweise auch für das mitgeführte Gepäck. Als sie dann auch noch versuchten, Sigrid zur „Leibesvisitation“ in ein gesondertes Zimmer zu führen, begriff ich, was die Burschen im Schilde führten: Der ganze Rummel diente offenkundig nur dem einen Zweck, meiner Frau ungestraft an die Wäsche gehen zu können. Unsere lautstarken Proteste führten schließlich dazu, dass man von ihr abließ und uns ungeschoren weiterziehen ließ. Nach dem Urlaub schrieb ich einen geharnischten, aber erwartungsgemäß folgenlosen, Beschwerdebrief an die zuständige Zollverwaltung.
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Die Route National 83 führte uns über Mulhouse und Belfort bis ins schöne Doubstal. Der ungeplante Grenzaufenthalt und die zahlreichen Ortsdurchfahrten verzögerten unsere Fahrt dermaßen, dass wir bald nach einem geeigneten Quartier zu suchen begannen. Wir fanden es in Clerval, einem kleinen Ort etwa 30 km westlich von Montbeliard. Das direkt an der Route Nationale gelegene „Hotel de la Paix“ war eine Bruchbude übelster Sorte: In den Zimmern lösten sich Putz und Tapeten von den Wänden, und warme Duschen suchte man vergebens im ganzen Haus. Trotzdem legte die Besitzerin ein derart hoheitsvolles Gebaren an den Tag, als sei sie die adelige Herrin eines uralten Stammschlosses. Wir blieben aus zwei Gründen: Erstens gab es ein ganz passables Restaurant und zweitens schien alles spottbillig zu sein. Die Kehrseite der Medaille bekamen wir in der folgenden Nacht zu spüren: In regelmäßigen Abständen drang auf- und abschwellender Lärm durch die altersschwachen Zimmerfenster. Verursacht wurde er von termingeplagten Fahrern, die ihre schweren Fernverkehrslaster rücksichtslos durch die enge Schlucht der örtlichen Hauptstraße prügelten.
Hotel de la Paix in Clerval: heute schmuck, damals verwahrlost.
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Unten: Spärliche Ausrüstung im Sommer 1975.
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Anfangs bestand unsere Ausrüstung aus Jethelm, Sonnenbrille und billigen Arbeitshandschuhen aus dem Baumarkt. Daneben besaß ich ausrangierte Knobelbecher von der Bundeswehr und eine gebrauchte Panzerkombi, die das Versandhaus Räer für 30 Mark anbot. Sigrid musste sich gar mit ihren Jeansklamotten und einer Regenkombi als Fahranzug begnügen. Deren Grenzen bekamen wir bald zu spüren: Als wir am 2. April 1976 den spontanen Entschluss in die Tat umsetzten, übers Wochenende nach Straßburg zu fahren, froren wir im Schwarzwald ganz erbärmlich. Trotzdem schmiedeten wir beim abendlichen Weinabsacker auf dem Place du Corbeau unverdrossen Pläne für eine „richtige“ Motorradreise nach Südfrankreich. Eines war jedoch völlig klar: Unsere Ausrüstung musste zuvor erheblich verbessert werden.
Kurzes Intermezzo mit der Panzerkombi als Fahranzug.
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Zähneknirschend griffen wir tief in unsere Geldbeutel und kauften zwei Integralhelme der Marke Nolan. Das größte Loch in unser Budget rissen jedoch zwei Lederkombis, die wir beim Nagolder Lederfabrikanten Harro maßfertigen ließen. Von Räer kam ein winziger Benzinkocher namens Enders Baby und ein knallrotes Billigzelt. Letzteres hatte zwar keine Apsis, verwöhnte uns aber sehr zuverlässig mit fließendem Wasser, sobald es zu regnen begann. Weil das Nylondach dann auch noch seine Form verlor und mit zusätzlichen Schnüren daran gehindert werden musste, seinen Bewohnern auf dem Kopf zu kleben, erhielt die edle Behausung bald den bezeichnenden Namen „Pudding“.
Der Pudding
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Um das notwendige Reisegepäck unterzubringen, galt es auch das gelbe Zweitaktmonster aufzurüsten: Billig kam ich zu gebrauchten Taschenträgern, wie sie in der DDR üblich waren. Wasserabweisende Koffer baute ich mir in mühevoller Kleinarbeit aus Waschmittelkartons, Holzleim und Wachstuch selbst zusammen. Die edlen Behälter sollten mich noch Jahre später auf der MZ begleiten, um dann 1989 einen elenden, aber stilvollen Ertränkungstod zu sterben. Wein, nicht Wasser, setzte ihrem bewegten Leben am Nordkap ein Ende.
Nach Mitternacht. Der Kofferbau erwies sich als sehr aufwändig.
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Auch Sigrid unterstützte tatkräftig unsere Aufrüstung. Im Mai 1976 setzte sie sich tagelang an ihre Nähmaschine und steuerte einen selbst gebauten Tankrucksack bei. Er ziert noch heute unseren Keller.
Sigrids Werk ist vollendet.
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1976 stand ich an einem Scheideweg: Seit mehreren Semestern studierte ich Altorientalistik, hatte aber mittlerweile das Gefühl, beruflich auf einem Holzweg zu sein. Also beschloss ich, abseits des Studienorts eine Phase der Neuorientierung einzulegen. Voller Zuversicht sattelte ich mitten im laufenden Semester meine Zonenfeile, um gemeinsam mit Sigrid das sonnige Südfrankreich anzusteuern.
Mitte Juni begann unsere Reise in Tübingen. Herrliches Wetter begleitete die gemütliche Fahrt über kurvige Nebenstrecken des Schwarzwalds ins benachbarte Elsass. Bei Marckolsheim planten wir den Grenzübertritt nach Frankreich. Die Wahl dieses abgelegenen Ortes sollte sich als ausgesprochen unglücklich erweisen. Die französischen Zöllner dort interessierten sich nämlich nicht nur für unsere Papiere, sondern seltsamerweise auch für das mitgeführte Gepäck. Als sie dann auch noch versuchten, Sigrid zur „Leibesvisitation“ in ein gesondertes Zimmer zu führen, begriff ich, was die Burschen im Schilde führten: Der ganze Rummel diente offenkundig nur dem einen Zweck, meiner Frau ungestraft an die Wäsche gehen zu können. Unsere lautstarken Proteste führten schließlich dazu, dass man von ihr abließ und uns ungeschoren weiterziehen ließ. Nach dem Urlaub schrieb ich einen geharnischten, aber erwartungsgemäß folgenlosen, Beschwerdebrief an die zuständige Zollverwaltung.
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Die Route National 83 führte uns über Mulhouse und Belfort bis ins schöne Doubstal. Der ungeplante Grenzaufenthalt und die zahlreichen Ortsdurchfahrten verzögerten unsere Fahrt dermaßen, dass wir bald nach einem geeigneten Quartier zu suchen begannen. Wir fanden es in Clerval, einem kleinen Ort etwa 30 km westlich von Montbeliard. Das direkt an der Route Nationale gelegene „Hotel de la Paix“ war eine Bruchbude übelster Sorte: In den Zimmern lösten sich Putz und Tapeten von den Wänden, und warme Duschen suchte man vergebens im ganzen Haus. Trotzdem legte die Besitzerin ein derart hoheitsvolles Gebaren an den Tag, als sei sie die adelige Herrin eines uralten Stammschlosses. Wir blieben aus zwei Gründen: Erstens gab es ein ganz passables Restaurant und zweitens schien alles spottbillig zu sein. Die Kehrseite der Medaille bekamen wir in der folgenden Nacht zu spüren: In regelmäßigen Abständen drang auf- und abschwellender Lärm durch die altersschwachen Zimmerfenster. Verursacht wurde er von termingeplagten Fahrern, die ihre schweren Fernverkehrslaster rücksichtslos durch die enge Schlucht der örtlichen Hauptstraße prügelten.
Hotel de la Paix in Clerval: heute schmuck, damals verwahrlost.
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