Klingonen über Cannstatt

Ich war schon an manch düsterem Ort, aber der Zeltplatz von Cannstatt ist was für Feinschmecker: Die Schokoladenseite, der Bereich für die Autofahrer, fällt nicht weiter auf. Das enge Reservat für die Biker und Fußgänger aber schon. Im Süden sorgt die nahe B 10 für Leben in der Bude, im Norden und Osten tut es die Teststrecke von Daimler-Benz. Deren übermannshohe Betonfundamente werden zu allem Überfluss noch gekrönt von verrostetem Stacheldraht. Man zeltet am Fuße dieser Konstruktion und hofft wenigstens auf nette Nachbarschaft. Sofern vorhanden, geht diese leider aber wieder am nächsten Tag. Wer länger bleibt, ist leicht auszumachen: Er hat meist eine ausgemergelte Gestalt, vermeidet jeden Blickkontakt und grüßt keinesfalls zurück. Den Vogel schießt eine spindeldürre junge Frau ab: Sie umrundet gesenkten Hauptes mit schleppendem Gang in Zeitlupenbewegung mehrmals täglich den Platz und schaut niemals auf. Am dritten Abend tat sie mir schließlich so leid, dass ich sie fragte, ob man ihr helfen könne. Mit teilnahmsloser Miene und tonloser Stimme versicherte sie, es gehe ihr gut. Nach dieser Begebenheit legte ich mich vor mein Zelt und suchte Trost im Trollinger. Nach der dritten Flasche gewann ich urplötzlich Klarheit: Über mir, das waren keine Wolken. Die regelmäßigen Formen verrieten den Klingonen-Kreuzer und darüber hinaus die traurige Tatsache, dass meine bedauernswerten Nachbarn im Laufe ihres Aufenthalts allmählich zu willenlosen Zombies der gruseligen Aliens dort oben geworden waren. Mit den kläglichen Resten meiner Spirituosen suchte ich sofort das Zelt auf und verließ am frühen Morgen des folgenden Tags eilends den Platz. Ein Hoch auf den Trollinger, der mich diese Zusammenhänge erkennen ließ und mir half, meine geistige Gesundheit zu bewahren.