von Ex-User J.F.S. » 28. April 2007 21:55
Begegnung mit einer YAMAHA XT 660 R
Nach rund elf Jahren Pause bin ich wieder auf der Suche nach einem Motorrad. Tourentauglich soll es sein und eine Leistung von etwa 50 PS haben. Mich erstaunen nicht nur die Preise, sondern auch das Gewicht mancher heutiger Motorräder Es scheint schon beinahe zum guten Ton zu gehören, eine Vierteltonne und mehr durch die Landschaft zu bewegen. Auf Grund des vergleichsweise geringen Gewichts (187 kg fahrfertig) schaue ich mir die YAMAHA XT 660 R an, obwohl ich an eine Enduro zunächst gar nicht gedacht habe. Das Design, von anderen als schick und modern empfunden, erscheint mir etwas zu zeitgeistig. Ironischer Kommentar unserer Tochter: ,Was sollen denn diese schrägen Schornsteine da hinten? Sieht aus wie`n untergehender Bananendampfer!? Nee, wie gemein!
Aber irgendwie bin ich schon neugierig. Wie fährt sich solch eine Maschine etwa im Vergleich zu meiner früheren SR 500, die ich neun Jahre bewegt habe? Der Hamelner Händler bietet mir eine Probefahrt mit der XT an, ich miete sie gleich für 24 Stunden. Wenn schon, denn schon!
Nach dem Einschalten der Zündung wird ein ganzes System hochgefahren. Eigentlich fehlt nur noch die Kabinendurchsage: ?Wir freuen uns, Sie an Bord unserer Lufthansa-Maschine LH 4711 begrüßen zu dürfen!?
Schöne neue Motorradwelt! Weder einen Kickstarter noch einen handbetätigten Choke gibt es. Also gleich den Mädchenknopf gedrückt und ein sattes kerniges Gebrabbel ertönt. Der Motor dreht im kalten wie auch später im warmen Zustand bei Standgas etwas hochtourig. Wie hoch, kann ich nicht sagen, denn einen Drehzahlmesser hat die XT nicht. Der erste Gang rastet sehr exakt und ohne Rucken ein ? die anderen Gänge später auch! Ich gebe kaum Gas und lasse die Kupplung sachte kommen. Die SR 500 hätte ich damit schlagartig abgewürgt. Nicht so die XT. Die trabt munter, elastisch und mit gepflegtem Einzylinderschlag los - erstaunlich!
Mein erster Weg führt zur Tankstelle. Der abschließbare Deckel der XT ist leider nicht als Klappverschluss gestaltet, man muss ihn abnehmen. So ? und wohin jetzt damit? Das war an der SR eindeutig besser gelöst. Der Tankstutzen weist jedoch eine sehr praktische Halterung für die Spitze der Zapfpistole auf. Wenn man die nämlich der SR ein bisschen zu weit in den Hals steckte, spritzte einem der Sprit entgegen. Es hat eben alles seine Vor- und Nachteile!
Die geplante Route verläuft hauptsächlich über kleine Landstraßen und zum Teil auch über legal befahrbare Feld- und Forstwege ? je kurvenreicher, desto besser. Auf den einsamen verschlungenen Sträßchen der Ottensteiner Hochebene lerne ich das Motorrad erst mal näher kennen. Vor allem begeistert mich die harmonische Motorcharakteristik, genauer gesagt der Drehmomentverlauf in Verbindung mit der perfekten Getriebeabstufung. Diese flotte Hummel kann fast alles besser als die SR. Doch eines fällt mir negativ auf. Die Wirkung der Hinterradbremse genügt zwar, aber sie lässt sich schlecht dosieren und einen exakten Druckpunkt finde ich auch nicht. Allerdings ist die Position des Bremspedals für meine Galoschen ziemlich ungünstig eingestellt. Aber an einer fremden Maschine schraube ich natürlich nicht. Die vordere Bremse hingegen arbeitet einwandfrei. Die Gabel taucht beim Bremsen etwas zu stark ein. Man könnte die Gabelölmenge geringfügig erhöhen - das dürfen aber nur wenige Kubikzentimeter sein, sonst hüpft sie wie ein Gummiball - oder auf progressive Federn umrüsten. Die Hinterradfederung, oft als überdämpft und zu hart bezeichnet, ist mir gerade recht. Lieber ein strammes Hinterteil als einen Schwabbelpopo! Dazu passt die recht straffe Sitzbank, auf der ich in einer Höhe von guten 86 Zentimetern richtig locker auf dem Hocker throne. Die Sitzbankfläche verläuft in einer leicht nach hinten ansteigenden Ebene, auf der man ein wenig hin und her wandern kann und nicht so angeschraubt sitzt wie auf den weit verbreiteten Stufensitzbänken der reinen Straßenmaschinen. Endlich bringe ich meine 1,92 m einmal vernünftig unter. Eine Bemerkung zu den Rückspiegeln: Sie verdienen ihre Bezeichnung, nur ein knappes Viertel des Bildes wird von den Armen abgedeckt.
Bei Polle gelange ich mitsamt der XT per Fähre auf die östliche Weserseite. Danach geht es in ruhiger Fahrt auf der schmalen Uferstraße dahin. Dabei fällt mir gelegentlich ein leicht ungleichmäßiger Zug des Motors auf. Dies als Konstantfahrruckeln zu bezeichnen, wäre allerdings übertrieben. Es stört mich nicht weiter und ich erwähne es auch nur der Vollständigkeit halber.
Von Holzminden nach Neuhaus im Solling wähle ich die Hauptstrecke. In gut ausgebauten und meist übersichtlichen langgestreckten Kurven lässt sich die Fahrwerksstabilität auch bei höheren Geschwindigkeiten testen. Es gibt nichts zu beanstanden, zielsicher hält die XT ihren Kurs. Das 21-Zoll-Vorderrad mit seinen größeren Kreiselkräften dürfte daran erheblichen Anteil haben. Man muss mit der XT nur die Kurven ein wenig eher einleiten als mit einer normalen Straßenmaschine. Auch die 180-Grad-Kehre am Ortseingang von Neuhaus - linksherum bergab, sonst nicht unbedingt meine Spezialität - gelingt ohne jede Korrektur.
Einige Kilometer südlich geht die Fahrt über Forst- und Nebenstraßen weiter. Schloss Nienover liegt gerade hinter mir. In einer kleinen Ortschaft mit dem originellen Namen ,Polier? begrüßt mich eine freundliche Anzeigetafel mit großen gelben Ziffern: ,Sie fahren 46 km/h!? ? Der YAMAHA-Tacho zeigt 51 km/h an. Allerdings kann ich nicht sagen, wie exakt diese Hinweistafeln funktionieren. Apropos Tacho: Zunächst war ich ziemlich enttäuscht. Ein Digitalinstrument?! Aber das Ding überrascht auf angenehme Weise. Die Ziffernhüpferei ist zwar zunächst ungewohnt, aber die Ablesbarkeit tadellos. Manches muss man einfach erst ausprobieren.
Wenige Kilometer hinter Uslar entdecke ich die Piste des Grauens. Eine Zufahrt zu einem ehemaligen Bahn- und Industriegelände, übersät mit Schlaglöchern. Hier kann das Fahrwerk seine Qualitäten beweisen. Nur Fliegen, äh Schweben ist schöner, denn die YAMAHA bügelt das meiste glatt. Auf der anderen Seite sollte man sich aber keine Illusionen über die Tauglichkeit im richtigen Gelände machen. Dafür ist die Maschine doch zu schwer und die Federelemente sind auch nicht entsprechend ausgelegt. Ein besonderer Witz ist es, dass YAMAHA nur zwei Reifensorten freigegeben hat: Metzeler Tourance und Michelin Sirac Vom Profil her tendieren diese eindeutig zum Straßenbetrieb.
Zurück geht es auf die Piste Richtung Hardegsen. Hier erwartet mich einer der schönsten Abschnitte, die Straße ,Am Bollert?. Über rund drei Kilometer reiht sich eine Kurve an die andere. Die Strecke ist nicht ganz ohne. Mit ihrem Patchwork-Design, einigen Zuziehern und teils nicht ummantelten Leid(t)plankenpfosten wurde sie schon diversen Motorradfahrern zum Verhängnis. Wie immer bei solchen Kurvenorgien bestimme ich die Geschwindigkeit ausschließlich mit dem Gasgriff und nutze vor den Kurven das Bremsmoment des Motors. Damit bin ich zwar nicht allzu schnell, habe aber bei Bedarf noch Reserven. Außerdem kann ich dem XT-Motor auf diese Weise seine gesamte Klangbreite entlocken. Vom kräftigen Hämmern beim Beschleunigen bis hin zu diesem herrlich sonoren Grummeln im Schiebebetrieb ? die YAMAHA klingt einfach gut, ohne laut zu sein. Die Entwickler haben eine treffende Bezeichnung dafür: Soundmanagement. Der Fahrer darf der kompletten Symphonie lauschen, während der Geräuschpegel bereits in wenigen Metern Entfernung deutlich abfällt.
Bei Hardegsen beginnt es zu regnen. Sch...ade! Andererseits kann ich gleich einmal die Metzeler-Reifen bei Nässe testen. Bei mir lassen sie keine Wünsche offen. Gleich darauf, nach rund 220 Kilometern beginnt die Benzinleuchte zu zwinkern, um bald auf Dauerbeleuchtung zu gehen. Weit und breit keine Zapfsäule in Sicht. Der Tank fasst 15 Liter, aber wie weit mag die Reserve wohl reichen? Erst in Bodenwerder tanke ich und kann nach 285 Kilometern gerade einmal 9,29 Liter nachfüllen. Dies entspricht einem Verbrauch von 3,25 l / 100 km. Natürlich ist dieser Wert nicht repräsentativ, einmal meiner eher dezenten Fahrweise wegen und zum anderen, weil ich bei dem Nieselregen auf der Rücktour noch einmal deutlich zurückhaltender gefahren bin. Warum aber die Tankleuchte derart früh Alarm macht, weiß wohl nur der alte YAMAHA persönlich. Beim ersten Aufleuchten dürfte der Tank gerade einmal halbleer gewesen sein!
Zum guten Schluss suche ich mir noch einen mehrspurigen Schnellstraßenabschnitt. Deutlich über 100 km/h wird es immer ungemütlicher, da ich mit meiner Länge an dem breiten Lenker wie ein Segel im Fahrtwind hänge, während die XT unbeirrt ihren Kurs hält. Längsrillen sind zwar spürbar, wirken sich aber nicht negativ aus. Nachdem der Tacho kurzeitig 125 km/h anzeigt und meine Arme gefühlte zehn Zentimeter länger geworden sind, nehme ich freiwillig das Tempo wieder zurück. Schnelles Fahren mit der XT ? nee! Für längere Autobahnetappen ist sie absolut nicht gedacht, denn kleiner machen oder sich gar ducken, das wirkt nun doch etwas merkwürdig auf diesem Motorrad.
Noch eine Anmerkung zum Drehzahlniveau, auch wenn die Schlussfolgerung nicht besonders genau sein kann: Die XT gibt ihre 48 PS bei 6.000 U/min ab. Geht man davon aus, dass hier die angegebene Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h im 5. Gang erreicht wird, liegen beim Landstraßentempo vom 100 km/h rechnerisch 3.750 U/min an. Dies liegt noch 250 U/min unter dem Drehzahllevel der SR 500 oder auch der BMW R 80.
Aber ein wenig lästern muss ich doch noch: Warum nur verlaufen bei diesem Motorrad die Krümmer so intelligent unter dem Motor und weshalb steht die Wasserpumpe derart exponiert auf der rechten Seite heraus? In jedem Fall sollte man einen Unterfahrschutz montieren. Es ist ohnehin erstaunlich, was alles an durchaus sinnvollen Dingen für dieses Motorrad angeboten wird. Nur harmoniert manches nicht miteinander. So muss man etwa darauf achten, dass sich nicht jeder Hauptständer zusammen mit jedem Motorschutz montieren lässt oder manche Sturzbügel nicht an das 07er Modell passen, da die Lambda-Sonde im Wege ist.
Fazit meiner ausgedehnten Proberunde: Insgesamt macht das Fahren mit der XT großen Spaß. Für kleine Landstraßen, garniert mit gelegentlichen Feldwegetappen ist sie einfach ideal!
... ich gehe schon mal mein Kleingeld zählen!
Gruß, Jürgen