Ein interessanter Bericht aus dem Sächsischen Archivblatt (Heft 1-2021) ([1]), zur Produktion im Motorradwerk Zschopau, im Artikel "Warnsignal und Öffentlichkeitsersatz –
Die Geheimberichte der Staatssicherheit an die SED im Bezirk Karl-Marx-Stadt"
Ähnlich schonungslos, und oft noch deutlich detaillierter, lesen sich die Dossiers zur Lage in den Industriebetrieben – das zweite zentrale Thema der westsächsischen Bezirksverwaltung. Besonders eindrucksvoll beschreiben die Offiziere im Januar 1983 die Zustände im Motorradwerk Zschopau. Der zwölfseitige Mängelreport wurde sogar an die Stasi-Zentrale in Berlin gesendet und von dort an den ZK-Sekretär für Wirtschaftsfragen Günter Mittag und an den Minister für Maschinen- und Fahrzeugbau Günther Kleiber weitergereicht. Der Leser wird gleich auf der ersten Seite mit akuten Missständen konfrontiert: Von 60.000 Motorrädern, die für den Westexport vorgesehen waren, ließen sich im Jahr 1982 gerade einmal 12.000 verkaufen, so die Stasi. Der Grund: Korrosion an Rohren, Speichen und Bremsscheiben, dazu Lackschäden, defekte Kolben und verschmutzte Chromteile. „Offensichtlich wird der Prozess der Qualitätssicherung nicht umfassend beherrscht“, mutmaßte die Bezirksverwaltung. Nicht selten versuchte der Betrieb Motorräder auszuliefern, die gar nicht vollständig waren. Es fehlten unter anderem Spiegel, Blinker, Rückleuchten oder Hupen. Eine Zufallskontrolle am Bahnhof Zschopau offenbarte, „dass von 24 kontrollierten Maschinen, die kurz vor der Verladung nach Frankreich standen, keine mehr im NSW-exportfähigen Zustand war“. [NSW = Nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet] Als besonderen Problembereich des MZ-Werkes machte die Stasi die Galvanikanlage aus. Dieser Werksteil war laut Bezirksverwaltung „soweit verschlissen, dass keine Havariesicherheit mehr gegeben ist und damit eine potenzielle Gefahr für Leben und Gesundheit der im Raum Zschopau lebenden Bürger besteht“. Eine Betriebsgenehmigung gab es für diesen Werksabschnitt schon seit einigen Jahren nicht mehr. Dass trotzdem gearbeitet wurde, nahmen die zuständigen Behörden nur noch „duldend zur Kenntnis“, so der Bericht. Um den Exportbetrieb wieder fit zu machen, formulierten die Stasi-Offiziere am Ende ihrer Information ein paar allgemein gehaltene Empfehlungen: Sie wünschten sich Auflagen und strengere Kontrollen durch die Ministerien für Fahrzeugbau und Umweltschutz und beauftragten Staatssekretär Harry Möbis, im Ministerrat zuständig für die Koordinierung der betrieblichen Sicherheitsbeauftragten, mit der Einsetzung einer Expertengruppe, um alle Schwächen der Motorradproduktion noch einmal eingehend zu untersuchen.
Die Galvanikanlage wurde 1962 neugebaut ([2a, 2b]).
Dass diese Galvanikanlage ein Verursacher für Umweltschäden werden konnte, zeigt ein Präzedenzfall aus dem Jahre 1976 ([3]):
Im Zusammenhang mit der Aufklärung vorgenannter Ursachen der Gewässerverunreinigung wurde auch festgestellt, dass die Galvanikanlage des VEB Motorradwerke Zschopau veraltet ist und nicht mehr den an die Gewährleistung der Sicherheit zu stellenden Anforderungen entspricht. Bisherige Bemühungen seitens des Betriebes zur Errichtung einer leistungsfähigen und den Sicherheitsbestimmungen entsprechenden Anlage blieben erfolglos (keine Aufnahme in die Planbilanz).Die Überwachung der aus dem Werk abfließenden Abwässer durch das Labor des Betriebes erfolgte nicht kontinuierlich entsprechend den Erfordernissen, wie sie bei derart giftigen Abwässern notwendig sind.Weiter ist beachtenswert, dass es konkrete gesetzliche Bestimmungen und darauf basierende detaillierte Festlegungen des Werkdirektors für den Umgang mit Giftstoffen einschließlich ihrer Ausgabe für den Einsatz im Produktionsprozess gibt. Es gibt jedoch keine derartigen Festlegungen für den Umgang mit Giftstoffen im Produktionsprozess selbst.
Ein Zeitzeuge erzählt ([4]):
Was damals als Umweltkatastrophe diskutiert wurde, war jedoch nur ein Teil der Wahrheit. Das Cyan war zwar tödlich gewesen, aber relativ schnell wieder abgebaut, da es durch Luftsauerstoff oxidierte. Viel schwerwiegender war aber wohl der Eintrag des Schwermetalles Chrom in den Fluss. Zwar sollte Chrom im Entgiftungsbecken ausgefällt werden, doch wurde der DDR-Grenzwert für Chrom im Abwasser zwischen 1980 und 1983 permanent um das bis zu 50-fache überschritten. Da Chrom nicht auf natürlichem Weg verschwindet, dürfte der Grund der Zschopau unterhalb des Motorradwerkes auf Jahre merklich Chrom enthalten haben.
Generell ist zu sagen, dass man aus heutiger Sicht damals SEHR lässig mit Giften im Motorradwerk umging. Der Autor war beispielsweise Zeuge des folgenden Vorfalles: Ein Gabelstapler fuhr auf seiner Gabel ein Fass Natriumcyanid die Werksstraße hinunter (Ein deutlicher Aufkleber war am Fass!). Der Fahrer hatte beim Aufladen das Fass veletzt, so dass eine weiße Cyanspur vom Lagerort bis in die Härterei verlief. Ehe der Autor jemanden alarmieren konnte, setzte feiner Regen ein und spülte die hochgiftige Substanz in die Kanalisation. - Noch ein Beispiel: Durch seine Arbeit als Energetiker bedingt, vermaß der Autor damals die Abluftströme aus den Abzügen über den Abteilungen. Seine erfahrenen Kollegen warnten ihn ausdrücklich vor den Abluftrohren über Härterei und Galvanik: "Dort kommt soviel Blausäure raus, dass du in fünf Minuten tot bist."
Nach der Verlegung der Galvanik-Anlage in Hohndorf wurde diese aber nicht in Betrieb genommen ([5]). Die Sanierung der durch die Galvanikanlage kontaminierten Bereiche in Zschopau war Thema eines im Jahre 1995 veröffentlichten Artikels ([6, 7]).
[1]
https://www.archiv.sachsen.de/download/ ... assung.pdf[2a]
https://www.zschopau.de/die-motorradstadt/geschichte[2b] Christian Steiner. Motorradbau in Zschopau
https://verlagshaus24.de/motorradbau-in-zschopau[3]
https://www.ddr-im-blick.de/jahrgaenge/ ... rradwerke/[4]
http://krumhermersdorf.de/aktuell/chron ... unfall.htm[5]
http://unkorrekt-dresden.de/2015/09/23/ ... -besitzer/[6] Schramm, H., Schrey, J.; Meiners, H.G. (1995): Sanierung der durch eine Galvanik kontaminierten Gebäude-und Bodenbereiche bei den Motorradwerken Zschopau. - In: alt-lasten spektrum, hrsg. vom Ingenieurtechnischen Verband Altlasten e.V. ITVA, 5. Jahrgang, Heft 1, S. 25–31, Erich Schmidt Verlag, Berlin.
[7]
https://www.altlastenspektrum-itva.de/jahr1996.pdf-- Hinzugefügt: 10. Juli 2022 08:24 --Interessenten können Bildmaterial aus dem Bundesarchiv ([1]) zu verschiedenen Themen recherchieren ...
...und sich mit einem Merkzettel merken.
Die ausgesuchten Bilder kann man sich zu Privatzwecken bis zu einer Auslösung von 800x Pixel kostenlos ansehen. Die Ansicht ist anmeldungspflichtig, ist aber meines Erachtens empfehlenswert.
Mit der Zoom-Funktion kann man sich sogar bestimmte Details näher ansehen:
So sieht z.B. ein Teil meines Warenkorbs aus:
[1]
https://www.bild.bundesarchiv.de/