Teil IV
Martin fragt, ob ich nicht besser die Koffer abnehmen wollte, der Piste wegen; er hat Sorge, die Halterungen könnten Schaden nehmen, aber ich vertraue den HeavyDuties da völlig und lasse sie dran. Wir starten zeitig, das Tal liegt noch im Nebel,
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Martin führt uns über zum Teil abenteuerlich anmutende Feld- und Waldwege den Berg hinunter, ich denke: „Aha, Piste, Erdweg, hm? Naja, das geht ja recht locker…“. Wir fahren ein Stück Autobahn und machen eine Pause an einer Strandbar.
Carlos kommt aus dem Landesinneren und ist zum ersten Mal an der Küste, er ist völlig begeistert. Nach unserem Kaffee, Carlos trinkt ein Bier, wuchten wir mit vereinten Kräften die im Sand stehenden Motorräder in die andere Richtung und fahren weiter auf geschmeidigen Landstraßen Richtung Picos de Europe; wir machen einen kleinen Abstecher zu einem Aussichtspunkt
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und suchen dann ein Lokal, um dort zu Mittag zu essen.
Martin erklärt mir das Prinzip der gemeinsamen Kasse; die deutschen Touristen würden in den Lokalen überwiegend deswegen negativ auffallen, weil sie immer jeder für sich zahlten, in Spanien sei es üblich, dass immer einer für den gesamten Tisch zahle. Soll noch mal einer sagen, Reisen bilde nicht…natürlich trinken die Jungs Wein zum Mittagessen, „macht das Fahren entspannter…“, ich bleibe bei Wasser.
Nach einem weiteren, schönen Stück Landstraße, mitten in einer Spitzkehre, biegt Martin unvermittelt in einen Feldweg ab, hält an und schärft uns die Verhaltensregeln im Naturschutzgebiet ein: Auf der Piste bleiben, keine zwei Meter links oder rechts davon fahren, keinen Abfall, auf gar keinen Fall Zigarettenkippen, irgendwohin werfen, die Strafen seien echt drakonisch.
Die Piste ist eine Schotter- und Geröllpiste mitten durch das Naturschutzgebiet und lässt sich ganz gut an. Wir fahren im Stehen, überwiegend im ersten Gang, es wird steiler, z.T. Steigungen von deutlich über zwanzig Prozent, die Steine werden größer, es wird felsiger und immer schwieriger zu fahren.
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Die BMW versetzt mit dem Hinterrad, Fernando kann sie so gerade noch abfangen und vor dem Bodenkontakt bewahren. Mit vereinten Kräften schieben und fahren wir die Kuh wieder in die richtige Spur und fahren weiter. Bei einer steilen Auffahrt, die nur aus kindskopfgroßen Brocken besteht, höre ich ein merkwürdiges Geräusch, stirnrunzelnd fällt mein Blick auf die Temperaturanzeige der AT: Roter Bereich; gleichzeitig kann ich das Geräusch identifizieren, das Kühlwasser kocht, und der Geruch von verdampfender Kühlflüssigkeit steigt unter meinen Helm.
Scheiße, was ist das denn? Ich registriere, dass mein Kühlerventilator nicht läuft und stelle den Motor ab.
Super Timing, mitten in der Kurve auf der Auffahrt, die noch gute zweihundert Meter vor mir zu erkennen ist, was allerdings nicht bedeutet, dass sie dann zu Ende ist. Möglicherweise geht es hinter dem Berghang, der die weitere Sicht auf die Strecke versperrt, noch weiter hoch.
Der so ziemlich blödeste Platz, um wieder anzufahren, aber ich will keinesfalls einen Motorschaden riskieren. Die AT wirft brodelnd und blubbernd das Kühlwasser aus dem Ausgleichsbehälter. Verdammt, verdammt, verdammt! Noch nie hat mich die Gute im Stich gelassen, ausgerechnet jetzt und hier!
Nach einer Weile kommt Carlos zu Fuß zurück und hilft mir, die AT wenigstens aus der Kurve an den Rand zu bugsieren. Ich packe mein Werkzeug aus und nehme Sitzbank und Seitenverkleidungen ab; der Ausgleichsbehälter ist komplett leer. Die Sicherung sieht gut aus, am Kühlerlüfter und seinen Anschlüssen ist nichts Ungewöhnliches zu erkennen. Ich fülle den Ausgleichsbehälter aus meiner Wasserflasche auf, der Kühler selbst ist voll. Aufgrund früherer Erfahrungen mit Flachstecksicherungen tausche ich die Sicherung mal auf Verdacht aus.
Martin kommt zu Fuß herunter, wir beratschlagen, wie wir weiter vorgehen. Die BMW sei mittlerweile oben, etwa sechshundert Meter weiter sei ein kleines Plateau.
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Danach gehe es noch etwa drei Kilometer weiter hoch, die Piste sei dort aber besser zu befahren. Der Weg zurück zur Landstraße sei auf jeden Fall weiter als der Weg auf die Kuppe, von der aus es dann wieder talwärts gehe. Also geht es weiter nach oben, schlimmstenfalls müsste ich der AT zwischendurch eine Abkühlpause gönnen oder eben den Kühlerventilator, zumindest hier auf der Piste, auf Dauerbetrieb umklemmen.
Nach mehreren fruchtlosen Versuchen, mit der AT auf dem Geröllhang wieder in eine fahrbare Spur zu kommen, bietet Carlos, der, seit er fünf Jahre alt ist, im Geländesport unterwegs ist, an, die AT das erste Stück hochzufahren, und ich willige dankend ein.
Man muss wohl auch mal schmerzliche Niederlagen einstecken, hm.
Völlig durchgeschwitzt klettere ich den Hang hoch
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(und das soll Urlaub sein? Aber ja!) und fahre weiter; Carlos packt sich Martin hinten auf seine AT und fährt hinterher.
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Die Kühlwassertemperatur bleibt im grünen Bereich, und, oben angekommen, höre ich, dass der Ventilator läuft…gutes Motorrad, es war wirklich nur die Sicherung!
Wir teilen uns unsere letzten Wasservorräte und lüften unsere durchgeschwitzten Klamotten.
Der Rest des Aufstiegs ist problemlos und wir sind geradezu erschlagen von der landschaftlichen Schön- und Wildheit.
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Diese Strecke ist das Schwerste, was ich bisher mit der AT gefahren bin; die Südrampe des Col de Tende, der Einstieg in die Ligurische Grenzkammstraße, ist dagegen der reinste Kindergeburtstag. Bei uns zu Hause wäre ein erlaubtes Befahren einer solchen Strecke völlig undenkbar.
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Nach einiger Zeit finden wir eine Quelle am Wegesrand und füllen unsere Wasservorräte auf.
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Immer wieder begegnen uns auch Allradfahrzeuge und Mountainbiker, die die Piste befahren und die Landschaft bestaunen.
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Die Abfahrt ins Tal gestaltet sich durch z.T. starke Gefälle (>25%) auf Geröll nicht gerade einfach, aber im Vergleich zum Aufstieg doch relativ locker.
Am Ende der Piste sind wir stolz wie die Kinder, auch ich, trotz der leichten Ego-Prellung; kein Sturz, kein Bruch, wir mussten auch kein Motorrad aufheben, wir sind echt froh, obwohl wir für die knappen 30 km gute zweieinhalb Stunden gebraucht haben.
Fernando sagt, dass er niemals diese Strecke gefahren wäre, wenn er vorher gewusst hätte, was da auf ihn zukommt.
Es ist aber auch wirklich faszinierend mitanzusehen, wie das schwere, dicke Ding auf Straßenreifen mit der Gelassenheit eines Panzers die Geröllhänge hinaufwalzt, sicherlich, mit der Unterstützung von Traktionskontrolle und ESA-Fahrwerk auf Stellung „Komfort“, aber trotzdem, alle Achtung! Wieder eins von meinen geliebten Vorurteilen, die es zu überprüfen bzw. zu revidieren gilt.
Ich entschuldige mich in aller Form für meine Lästereien des Vorabends, versichere ihn meines tiefempfundenen Respekts vor dieser Leistung, und Fernando nimmt die Entschuldigung lachend an. Carlos hat natürlich, am Beginn der Piste, alles an elektronischen Helferlein, was ging, abgeschaltet, weil, wo bliebe denn sonst der Spaß?
Mittlerweile, nachdem Carlos und Fernando ihren Reifendruck, den sie auf der Piste auf 1,0 bar abgesenkt hatten (natürlich haben die Schüsseln RDKS und können den aktuellen Reifendruck in ihrem Display ablesen), wieder aufgefüllt haben, ist es 19:00 Uhr und wir haben noch etwa 150 km über die Pässe vor uns, bis wir wieder zu Hause sind. Wir machen uns auf die Reifen und Martin und ich müssen feststellen, das Tempo der beiden können wir nicht halten. Nachdem ich bereits mehrmals mit den Fußrasten aufgesetzt habe, und wir trotzdem nicht mithalten können, schalten wir den berühmten Gang zurück und ertragen auf dem Pass mit Würde die Häme der beiden: „Espana top, Alemannes flop!“
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Als kleiner Trost bleibt uns der Gedanke an unser Leistungs-Handicap, 50 und 60 PS gegenüber 95 und 125 PS, aber der Verdacht, dass die beiden einfach die besseren Fahrer sind, ist kein leiser…manchmal muss man auch die Beschränktheit der eigenen Möglichkeiten anerkennen.
Wir schaffen es mit dem letzten Tageslicht auf den Hof, essen und trinken noch zusammen, während wir, unter dem gelinden Spott unserer Frauen („…hör’s dir an, wir Frauen müssen uns nicht dauernd gegenseitig rühmen und beweihräuchern…“), noch einmal den Tag Revue passieren lassen und gehen etwas früher als am Vorabend ins Bett.
Diaz duro – ein harter Tag!
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