krocki hat geschrieben:samasaphan hat geschrieben:Meine Zeit dort war 1986 - 1990, der letzte Studienjahrgang mit Abschluss und Ernennung.
Ich gehörte zur Sektion 04 RTA...
Erzähl doch bitte mal was im Herbst 89 bei euch ablief, das aus erster Hand würde mich mehr interessieren als die lost Places...
...gleicher Jahrgang...ist lange her und wenn mich jemand korrigieren möchte,...ich habe kein Tagebuch geführt und hatte eigentlich andere Sachen um die Ohren... erste eigene Wohnung einrichten...Diplomarbeit...Prüfungen in sämtlichen relevanten Fächern...
Zunächst muss man sagen, dass schon lange vor dem Herbst 89 sich etwas abzeichnete...irgendwie brodelte es und auch wir bekamen ja mehr mit als die Aktuelle Kamera sagte und im ND stand. Man hatte schon vom "Neuen Forum" gehört und dass der Urlaub in Ungarn nicht unbedingt mit einer Rückfahrt nach Hause endet...die Geschehnisse in Ungarn und die Besetzung der Botschaft in Prag führten zur Durchsetzung einer Grenzschliessung zu den NachbarländernTschechien und Polen...im Objekt Zittau bedeutete diese Entwicklung zum Ende des Sommers und Anfang des Herbstes die ersten Maßnahmen . Meines Wissens wurden Kräfte der OHS zur Unterstützung der Grenztruppen hier in der Umgebung herangezogen,was schon sehr ungewöhnlich war...
Irgendwann wurde dann aufgrund der stetig größer werdenden Demonstrationen in Leipzig, den Vorgängen zum 7.Oktober in Berlin die erhöhte Gefechtsbereitschaft ausgerufen...das bedeutete kein Ausgang oder Urlaub. Die Ausbildung ging ganz normal weiter.
Aber...unser Sportlehrer Osl Thöns (Zivilbeschäftigter mit Dienstgrad) begann eine Sturmbahnausbildung mit den Worten:
"Genossen, wir werden die Konterrevolution mit der Waffe in der Hand niederschlagen!" (der war dann übrigens ganz dicke Hose bei der AOK in Zittau)
Da war er bei uns natürlich genau richtig und wir fragten ihn was er uns damit sagen will...jedenfalls durften wir die Felddienst, welche wir ja in den letzten Tagen anhatten mal richtig dreckig machen...Thöns war jedenfalls für uns ein rotes Tuch...
In unserer Sektion ,sowohl durch die OS als auch durch unsere Lehroffiziere...Professoren,Doktoren und Kommandeure, wurde viel und heftig diskutiert...wegen der Situation hier, wegen solcher Hardliner wie Thöns und ob diese Ansage heißen soll, dass wir gegen das eigene Volk eingesetzt werden sollen. Die chinesischen Ereignisse waren ja noch in Erinnerung...es war meiner Meinung nach kurz vor einer Meuterei...
Der größte Teil des Offizierskorps und der Offiziersschüler war mit Sicherheit gegen eine solche Eskalation...
Zu dem Zeitpunkt fuhren schon LKW's mit Offiziersschülern aus Löbau mit Schildern und Schlagstöcken ausgerüstet nach Dresden um die Polizeikräfte vor Ort zu unterstützen...warum fuhr dieser Zug auch über Dresden....?
Die Atmosphäre heizte sich immer weiter auf...und jeder konnte sich denken, irgendwann kommt der Punkt wo es knallen muss...
Die legendäre Demo in Leipzig....ein paar Tage vorher wurden auch in Zittau mehrere Hundertschaften aufgestellt...
Es gab Gerüchte darüber, dass dem Spuk an diesem Tag endgültig ein Ende bereitet würde...und weiß
Gott Marx,...es gab ein paar Spinner die der Meinung waren, dass das gelänge...
LKW's standen zur Verladung bereit...allerdings keine Knüppel und Schilder...die Gerüchteküche brodelte...Munition und Waffen wären zur Verladung vorbereitet...Kampfsätze für die AK47 ...
einige Offiziere hätten jedoch auf einmal frei...und waren nicht zur Ausbildung da...
In unserer Einheit meldeten sich immer mehr Leute, die sich auf die Dienstvorschrift und ihren Eid berufend von einem Einsatz mit Schusswaffe gegen Zivilbevölkerung distanzierten...so machte ich das auch...
...man hörte dann auch über verschiedene Kanäle, dass weder die NVA Führung noch die Führung der OHS darauf erpicht waren solchen Befehlen Folge zu leisten...
Die LKW's standen zwischen den UG's und warteten darauf bestiegen zu werden...es wäre Richtung Leipzig gegangen...
Wie andere Jungs war ich der Meinung...wenn es da eine Demo gibt, ist das Sache der Polizei...wenn wir als völlig unvorbereitete Militärs da eintrudeln kann das nur nach hinten los gehen...also fahren wir da nicht mit...erstaunlicherweise gab es mit dieser Meinung kein Problem...auch keinerlei Folgen... weder Bestrafungen noch Diskussionen...
Man kann eigentlich von einer flächendeckenden Befehlsverweigerung sprechen...es war meine einzige während meiner Dienstzeit...und meine letzte...in den nächsten Tagen reichte ich mein Entlassungsgesuch ein und überreichte mein Dokument dem Parteisekretär...
...die Folge war,dass ich nicht würdig war mit dem Rest meiner Kameraden in der Kohleproduktion zu helfen...sondern 6 Wochen Dauerdienst schieben durfte...ich habe mich also nur noch selbst ablösen können...mit einem anderen E-Kandidaten tauschten wir jeden Abend die Binden...OvD / GOvD
...so wie sich die OHS an diesem Tag verhalten hat, taten das auch andere Truppenteile...auch am Tag der Maueröffnung rückte kein Militär aus...Stechbarts Spruch..."Wie sieht das aus, wenn ich die 1.MSD in Berlin einrücken lasse?" und sagte "Njet"
Das hätte natürlich auch ganz anders verlaufen können...wenn alle Vorgesetzten die Befehlslage vollständig und ohne Kompromisse zur Entscheidungsgrundlage genommen hätten, wären die Bilder denen aus Peking sehr ähnlich gewesen, oder noch schlimmer...
Danach (Leipzig friedlich) entspannte sich die Lage eigentlich recht schnell. Und ich bin heut ehrlich gesagt froh nicht zu einem Verbrechen gezwungen worden zu sein...das stand meiner Meinung nach auf Messers Schneide. Für die Möglichkeit das Gewissen entscheiden zu lassen bin ich auch heute noch den meisten damaligen Vorgesetzten dankbar.
Die Tage im Herbst 89 waren in erster Linie anstrengend, interessant...aber auch mit Angst erfüllt...nicht Angst davor, dass man auch eine verpasst bekommen könnte, sondern davor jemandem eine verpassen zu müssen...und diese Angst war mehr als real...
Der Umstand der "Friedlichen Revolution". ist bei diesem verfügbaren Polizei- ,Sicherheits- und Militärapparat mehr als erstaunlich...
Wenn Erich und Erich Rückhalt in ihren Reihen gehabt hätten, gäbe es heutzutage einen anderen Geschichtsverlauf...ein Blutbad in Leipzig und anderswo...das Ergebnis wäre sicher nicht anders gewesen,aber einige gute Menschen hätten die neue Zeit nicht erlebt...
Ich...und das sage ich mit vollem Stolz, bin froh an dieser Einrichtung studiert zu haben...vieles von dem, was ich von diesen Vorgesetzten,Professoren, Doktoren ,Ingenieuren und Kommandeuren gelernt habe hat das aus mir gemacht, was ich auch heute noch bin...es gab auch Arschlöcher dort...so wie es diese in jedem Unternehmen gibt...aber der große Teil der Menschen mit denen ich zu tun hatte waren Menschen...vor allem auch im Herbst 89...
-- Hinzugefügt: 10th Januar 2016, 7:45 pm --... Nachsatz...das Gefühl,welches man hat, wenn deine persönliche Waffe mit scharfer Munition auf einem LKW verladen wird...dieses Gefühl wünsche ich niemandem...das kann man vermutlich nicht nachvollziehen,wenn man es nicht erlebt hat...
MUZ Skorpion 660 Bj. 96 rot!, Abgang 31.10.2018
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