Hallo,
bin gerade aus den Tiefen der Werkstatt wieder aufgetaucht und muß loswerden, was da passiert ist. Ich bitte um Nachsicht, falls der Bericht zu überschwenglich klingt, aber ich bin nur restlos begeistert!
Worum gehts?
Die Simplex-Trommelbremse vorn der TS 250/1 ist bekanntlich, zumal im Gespann, eher eine Art Treibanker denn ein wirksames Verzögerungsinstrument. Alternativen sind hier ja immer mal wieder Thema, ob ETZ-Scheibe oder Transplantation von markenfremden Duplexbremsen usw.. Scheibe bei meinem Gespann in Vorkriegsoptik? Never! Duplex ist schön und gut, aber wenn schon, dann gleich das Optimum. Eine Servobremse sollte es sein. Hat nichts mit Servomotoren, Unterdruck o.ä. zu tun, sondern ist kunstreiche, reine Mechanik. Altmeister Hertweck selig hat sowas in den 50er-Jahren beschrieben, s. folgendes Bild.
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Weil anders nicht erhältlich, habe ich mir das Teil selbst gebaut. Herausgekommen ist dabei folgendes, s. Bilder. Recht unscheinbar, hat es jedoch in sich.
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Als Rohmaterial habe ich mir einen Rundling aus hochfestem Aluminium 7075 um ca. 50 Eu besorgt, Durchmesser 180 mm, Dicke 60 mm, Gewicht ca. 4,1 kg. Dann habe ich nach Muster der originalen Ankerplatte begonnen, die Werkstatt mit Spänen zu füllen´wobei natürlich die Konstruktion zuvor klar sein und die Bohrungen exakt richtig gesetzt werden mußten. Die gewölbte Grundform der Ankerplatte ließ sich durch Fräsen auf dem Drehteller erzielen. Dieser wurde dazu mit zwei verschiedenen Neigungswinkeln aufgespannt.
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So sieht das Endprodukt aus:
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Vergleich alt / neu: Ca. 650 gr stehen ca. 1150 gr beim Neuteil gegenüber. Da ließe sich noch einiges herausholen; mir war aber angesichts der zu erwartenden Kräfte unbedingte Stabilität wichtig. Außerdem finde ich das Gewicht für ein Gespann noch akzeptabel.
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Nun aber zu den Innereien!
Die Servobremse hat nur einen Nocken, der allein die Primärbacke bedient. Diese ist beweglich mittels Gelenk mit dem Sekundärbacken verbunden. Die vom auflaufenden, also selbstverstärkenden Primärbacken erzeugte Kraft drückt zugleich den Sekundärbacken an, der so ebenfalls selbstverstärkend wird. Der Sekundärbacken liegt an seinem anderen Ende an einer festen Lagerung an. Insgesamt erzeugt das System noch erheblich mehr Bremskraft als eine Duplexbremse bei gleichzeitig stark verringerter Betätigungskraft. Am Handbremshebel wird die Bremsung ja praktisch nur eingeleitet; denn Rest macht die Bremse "von selbst".
Dabei gibt es vielerlei zu bedenken. Grundsätzlich wollte ich, wenn möglich, auf Originalteile zurückgreifen, um die Sache nicht ausufern zu lassen. Bremsbacken und Bremsnocken wurden daher nur etwas modifiziert. Hier zunächst eine Bildübersicht der Innereien mit folgender Erklärung.
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Das Verbindungsgelenk ist zweiteilig. Aus Rundstahl habe ich Muffen gefertigt, welche je eine Hälfte der Backen verbinden. Die eine Muffe ist mit einer abgesägten Schaftschraube verschweißt, sodaß die Verbindung mit der anderen Muffe lös- und einstellbar ist. Die Lageröffnungen der Backen sind je zur Hälfte abgesägt. Am Ende der Sekundärbacke ist eine Einfräsung, im Durchmesser entsprechend dem verschraubten Festlager (20 mm), wobei diese Fräsung etwas langgezogen ist, s. Bild der neuen Backen.
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Es besteht also begrenztes Spiel sowohl im Verbindungsgelenk als auch am Endlager. Anders, als bei der starren, herkömmlichen Lagerung, die mit langen Einlaufzeiten verbunden ist (Stichwort Tragbild der Beläge), können sich die Bremsbacken selbst die beste, vollflächige Anlage-Position suchen. Und sie tun das! Siehe das nahezu perfekte Tragbild der verbauten, alten Beläge nach nur ca 30 km! Anschließend war ordentlich Abrieb auszublasen, in der Folge dann nicht mehr. Anzumerken ist, daß ich als Versuchsträger die ältesten, abgenudelten Backen aus der Schrottkiste hergenommen habe, ohne Reinigung oder Rücksicht auf die Zusammenstellung!
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Die fertig montierte Ankerplatte sieht nun so aus:
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Ein Problem, das Hertweck beschreibt, s.o., ist die (scheinbare) "Bissigkeit" der Servobremse, bzw. deren schlechtes Wiederlösen. Außerdem bin ich anfangs nicht mit dem Handhebelweg ausgekommen; selbst bei schon schleifenden Belägen in Ruhestellung ließ sich der Handhebel bis zum Lenker anziehen.
Alles gelöst!
Der Weg reicht aus, wenn der Bremshebel an der Ankerplatte stark gekürzt wird. Die Bedienkraft ist dennoch sehr gering.
Problemloses Lösen hat mehr Arbeit gekostet, nämlich diverse Versuche mit verschieden langen und starken Federn. Geht jetzt auch zur vollsten Zufriedenheit! Wichtig ist die von Hertweck erwähnte Rückzugfeder, die den Sekundärbacken an einen von außen verstellbaren Exzenter anlegt. Eingestellt wird der von außen, s. Bild.
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Und jetzt die Gretchenfrage: Wie zieht die Bremse denn nun?
Wie gesagt: Totale Begeisterung! Es liegen Welten zwischen dem Originalteil und der neuen Servobremse! Leicht mit einem Finger gezogen, verzögert das Teil in bislang ungekannter Weise mit tief eintauchender Gabel. Dabei habe ich noch nicht einmal die neuen Backen montiert. Das Ergebnis ist schon mit den absolut grottigen Altbelägen derart überragend, daß ich das noch eine Weile länger testen werde.
Ungewohnt mag es anfangs sein, daß man nicht mehr wie ein Ochse am Bremshebel ziehen muß, um eine spürbare Wirkung zu erzielen. Der Endpunkt ist "weich"; die Bremse bremst "von alleine", ohne daß mehr Zugkraft noch mehr Wirkung hervorruft. Blockieren tut das Vorderrad übrigens nicht, was wohl auf den bei der sommerlichen Hitze extrem griffigen Heidenau K 41 mit Silica - eigentlich ein Winterreifen - zurückzuführen ist.
Es ist definitiv keine der von Hertweck so herrlich beschriebenen "Ochsenbremsen". Zitat:" ... viele Firmen hielten es ja bekanntlich für notwendig, eine Bremse "blockiersicher" zu machen, sie also mit einem so großen Handkraftbedarf auszustatten, daß auch der allergrößte und allerdümmste Ochse das Rad nicht zum Blockieren bringt (weil er ein Ochse ist, fiele er ja bei solcher Gelegenheit herunter)."
Euphorische Grüße, Fritz.
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Zuletzt geändert von Ex-User Der alte Fritz am 22. Juli 2017 15:12, insgesamt 1-mal geändert.