Es war eine unruhige Nacht als ich gegen 5:30 Uhr erwachte. Wahrscheinlich hatte mich, wie so oft bei solchen Vorhaben, das Reisefieber gepackt und ließ mich nicht wirklich zur Ruhe kommen. Schon Tage vorher hatte ich notwendige Vorkehrungen getroffen. Die Emme noch einmal genau durchgecheckt, Licht, Zündung, Bremsen... alles passte. Wird sie die vor uns liegenden 850 km halten? Fragen, die man sich wohl üblicherweise vor so einer Reise stellt.
Der Blick aus dem Fenster zeigte bereits deutliche Spuren des Herbstes. Über Nacht hatte es geregnet und das Wasser tropfte von dem bunten Herbstlaub. Das Gras im Garten war vom Tau ganz nass und der 1. Oktober zeigte sich so, wie man es eigentlich um diese Jahreszeit auch erwartet.
Der Sommer war endgültig vorbei; aber der Blick in den wolkenlosen Himmel versprach einen schönen Tag. Über dem Wald ging bereits die Sonne auf und in Gedanken hakte ich noch einmal meine Packliste ab. Am Vorabend hatte ich die Werkzeugtasche vorsichtshalber noch mit einem Kompressionsprüfer, Multimeter, „Glühobst“ einer Ersatzkette und Bowdenzüge bestückt. Man weiß ja nie was einen so erwartet....
Wenn ich überlege, wie gedankenlos ich als junger Kerl Reisen mit meinem Moped in den Urlaub nach Frankreich angetreten habe, Tanken und los geht´s, davon bin ich heute doch schon etwas entfernt...

Wie jeden Morgen kam meine Frau mit zwei dampfenden Kaffeebechern herein und wir schlürften den heissen Kaffee gemeinsam im Bett, bevor jeder in seinen Tag startete. Ein morgendliches Ritual, dass wir schon seit über 20 Jahren pflegen und das inzwischen zu jedem Tagesanfang gehört.
Dann ging es los. Nach einer heißen Dusche schlüpfte ich in meine Motorradklamotten, packte die Reisetasche in den Beiwagen, verstaute die Werkzeugtasche und die Regensachen im Kofferraum und startete mein ES2-Gespann. Es war erst 7 Uhr, als ich zum verabredeten Treffpunkt am Happurger Stausee in der Nähe von Hersbruck aufbrach. Ich genoss den frischen Fahrtwind und den gewohnten Klang des Zweitakters und war natürlich viel zu früh da. Statt wie verabredet um 9 war ich schon um 8 Uhr am See. Aber auch Thomas (Schnauz64) kam früher als erwartet und erschien mit Jens (Schraubi), den er zufällig unterwegs aufgegabelt hatte, eine halbe Stunde später. Martin (Martin H.) war der nächste, der die morgendlichen Ruhe mit den vertrauten MZ-Klängen durchbrach und sich mit seinem Gespann zu uns gesellte, bevor letztendlich um 9 Uhr dann auch Matthias (Matthieu) und Dominik (Sandmann) eintrudelten. Leider konnte Günter (Güsi) erst gegen Abend zu uns stossen, da er wegen einer dringenden Familiensache nicht eher weg konnte.
Also machten sich zunächst drei ES2-Gespanne, ein ETZ-Gespann und zwei Rotax-Gespanne auf den Weg in Richtung deutsch/tschechische Grenze, die wir ca. 1,5 Std. später erreichten. In Tschechien angekommen, fallen einem kurz nach der Grenze die vielen vietnamesischen Märkte auf, die neben bunten Glaskugeln für den Garten auch kitschige Pseudokunst in Form von rustikalen Holzschnitzereien und Steinfiguren in allen denkbaren Größen anbieten. Offensichtlich gibt es dafür aber reichlich Interessenten, da die Märkte oftmals eine erstaunliche Größe haben.
Unsere heutige Tagesetappe sollte uns über Marienbad, Becov nad Teplou, Karlsbad bis ins Erzgebirge in die Nähe von Oberwiesenthal führen. Thomas übernahm wie immer die Rolle als zuverlässiger Tourguide und sorgte dafür, dass wir nicht vom rechten Weg abkamen.

Es ging flott voran. Teilweise sogar sehr sehr flot. Ich habe den Verdacht, dass sich zeitweise Thomas‘ Gashand ausgerechnet immer bei Vollgas verkrampft, was mich als letzten in der Kolonne zu wilden Verwünschungen verführte, war ich doch immer am Hinterherhecheln. Aber die Rache wird kommen mein lieber Schnauzi. In einem heimlichen Moment werde ich Deinen Gaszug manipulieren.


Die Stimmung konnte nicht besser sein und wir hatten viel Spaß. Die von Matthias verursachten, gefühlt halbstündig erforderlichen Zwangspausen, und dabei ging es nicht nur ums Rauchen, bescherten nicht nur den Maschinen sondern auch uns kleinere Verschnaufpausen, bevor es mit Vollgas wieder weiterging. Thomas´ Gashand lässt grüßen


Gegen Mittag erreichten wir das schöne Marienbad. Eine kleine Stadt mit 13.500 Einwohnern, die sich im Kaiserwald, in 630 m Höhe ganz in der Nähe der gleichnamigen Talsperre befindet. Die kohlensäurereichen, mineralhaltigen und salzhaltigen Quellen machten den Ort ab dem 17. Jhr. bis heute zu einem beliebten Kurort. Mitten im Ortskern befindet sich der langgestreckte historische Kurgarten, der von prachtvoll restaurierten Hausfassaden des Klassizismus und Jugendstils umsäumt wird. Besonders sehenswert ist das Innere der gusseisernen, lichtdurchfluteten Kolonnade aus dem Jahr 1869.
Wir parkten unsere Gespanne auf der Nordseite des Kurparks direkt hinter den vielen schönen Pferdekutschen, die Besucher zu einer Stadtrundfahrt einladen. Aber auch unsere MZ-Gespanne waren ein Hingucker. Sauber hintereinander geparkt, zogen sie neugierige Blicke auf sich.
Nach einer kleinen Pause ging es über sanft geschwungene, schmale Straßen nach Becov nad Teplou, wo wir ein Motorradmuseum besichtigen wollten. Der Weg dorthin war einmalig schön. Kaum Verkehr und viele kleine Kurven entlang von Wiesen, Schluchten und kleinen, lang gestreckten Waldstücken. Das alles bei schönstem Herbstwetter, blauem Himmel und viel Sonnenschein.
Am Motorradmuseum angekommen, parkten wir unsere Fahrzeuge frech unmittelbar vor dem Eingang des Museums und besichtigten die kleine aber feine Fahrzeugsammlung im Obergeschoss des Hauses. Ein besonderes Exponat war hier die dreisitzige Böhmerland, die als ehemals längstes Serienmotorrad der Welt, Mitte der 20er Jahre bis Ende der 30er Jahre gebaut wurde. Die Farben des Motorrades waren kräftig rot und gelb und erinnerten Jens an Lego, womit er irgendwie Recht hatte.
Der Ort selbst, mit seiner auf einem Felssporn oberhalb der Tepl liegenden Burg Becov, gehört zu den malerischsten Orten der Region zwischen Karlsbad und Marienbad.
Grund genug für uns, mitten im Ortskern in einem kleinen Café tschechischen Palatschinken mit Fruchtaufstrich und Puderzucker bei einer Tasse Cappuccino zu geniesen. Manche von uns liessen sich auch ein Eis schmecken. Das Leben kann so herrlich schön sein.
Nach einer ausgiebigen Pause machten wir uns wieder auf den Weg. Das nächste Ziel war Karlsbad, das wir nach kurzer Fahrt erreichten. Mit über 50.000 Einwohnern ist Karlsbad deutlich größer als Marienbad und strahlt diesen anderen Flair auch sichtbar aus. Die Prachtstraße mitten im Stadtzentrum mit den großen Häusern und stilvollen Fassaden der Kaiserzeit, beindrucken. Mit unseren Gespannen passten wir da gefühlt gut rein, als wir mitten durch die Stadt vorbei an den vielen Menschen vorbeiknatterten. Wir bekamen viele aufmunternde Blicke und manche erinnerten sich bei dem Anblick sicher an längst vergangene Tage. Karlsbad liegt an der Mündung der Tepla in die Eger und gehört zu den berühmtesten und traditionsreichsten Kurorten der Welt. Besonders bekannt ist der Kurort durch seine Thermalquellen die für Bäder und Trinkkuren genutzt werden.
Ich war noch dabei die schönen Hausfassaden zu geniessen, als Thomas plötzlich in einer 180 Gradkurve in eine Kopfsteinpflasterstrasse mit gefühlten 20% Steigung einbog. Ohne Anlauf ging es sofort steil nach oben. Ich sah schon unsere Kupplungen abrauchen, sollte jetzt aus irgendeinem Grund unsere Kolonne zum Stehen kommen.

Leider kündigte sich inzwischen das Wetter an, dass der Wetterbericht prognostiziert hatte. Der Himmel bewölkte sich und die Wettervorhersage, dass sich für die kommenden Tage ein Regengebiet einstellen wird, nahm deutlich sichtbar Gestalt an. Da wir nicht wussten, ob wir auch an diesem Nachmittag schon die ersten Regenfälle haben werden, machten wir uns also schnurstraks auf den Weg zu unserem Hotel in Jöhstadt. Am späten Nachmittag überschritten wir wieder die Staatsgrenze zwischen Tschechien und Deutschland und erreichten schliesslich ein paar Kilometer hinter Oberwiesenthal müde unser 1. Tagesziel.
Müde? Nicht alle, denn Matthias hatte noch eine kleine Überraschung parat. Wenn wir bis jetzt schon keine echte Panne vorzuweisen hatten, dann sollte wenigstens eine kleine Reparatur an seinem Hinterrad durchgeführt werden. Also wurde das Heck der Rotax kurzerhand in den nächsten Baum gehängt, das Hinterrad ausgebaut und der profillose Reifen gegen einen (neuen) alten Reifen getauscht. Matthias ist immer für Überraschungen gut…

Rechtzeitig zum Abendessen tauchte Günter auf, das Essen war lecker, der Eisbecher mit Sahne und Eierlikör danach auch und auch das Bier floss mehrfach durch unsere ausgetrockneten Kehlen. Besonders alt sind wir an disem Abend nicht mehr geworden. Noch vor Mitternacht waren wir alle in unseren Betten verschwunden.







Mit Günters TS-Gespann erhöhte sich unsere Reisegruppe also auf 7 Fahrzeuge, was am nächsten Tag eine beachtliche Kolonne geben sollte...
Fazit des Tages: Keine Defekte an den Fahrzeugen

Fortsetzung folgt.