Hallo MZ-Gemeinde.
Dies hier ist meine neueste Story. Das Randerlebnis ereignete sich so wirklich und die Gedankengänge entstanden unter anderem aus einer Ansammlung vielerlei Zitate meiner Selbst der letzten fünf Jahre.
Es handelt vom „Real existierenden Wissen“, es werden viele Fragen von mir gestellt aber (noch) nicht beantwortet. Denn diese Story steht exemplarisch, auch von der Thematik her, für viele Kurzgeschichten, die da noch entstehen mögen, dann aber in typischer Kurzgeschichtenform. Hierfür bedarf es aber noch einiger Forschung hinsichtlich dieser literarischen Gattung.
Übrigens erschien diese Story in der letzten Zeitschrift des Classic British Bike Club, auch daher untypischerer Natur.
Protagonistin ist übrigens Emmi, wie auch auf den Bildern zu sehen ist. Für so manche Story ließ ich mir schon das ein oder andere crazy Foto einfallen. Hier versuche ich, Emmi Mathematik und Physik beizubringen…
Nun wünsche ich euch viel Spaß bei…
BSA und NORTON sind hip. Oder: Darf ich wissen, was ich muss?
Die folgende Geschichte widerfuhr mir im Mai 2009. Mithilfe zweier Krücken bewegte ich mich durch einen Supermarkt. Es war sechs Wochen nach meinem Motorradunfall, einem Frontalzusammenstoß mit einem unachtsam gelenkten Automobil. Mindestens drei fleißig agierende Schutzengel müssen auf mich aufgepasst haben…
Blaue Gummistöpsel verformen sich in alle Richtungen beim Auftreffen auf grau gefliestem Boden, stemmen sich unter der Last meines Körpers förmlich hinein. Erst wenn dieser zur Last wird, wird einem bewusst, in welch gebrechlichem Körper der Mensch steckt. Krücken. Solche habe ich seit sechs Wochen bei mir und für die nächsten zwei Wochen noch sollen sie meinen Gang unterstützen.
Ich bewege mich durch die Regalgänge eines Netto - Supermarktes in Echterdingen, an meiner rechten Krücke baumelt ein Stoffsäckchen, um den Einkauf in kleinlogistischer Manier bewerkstelligen zu können. Plötzlich erblicke ich inmitten der schnellen Welt des Konsums zwei mir wohl bekannte Schriftzüge feinsten britischen Motorradhandwerks. BSA und Norton, so die klangvollen Namen, welche sich nun auf mich zu bewegen. Auf T-Shirts gedruckt, in denen zwei jüngere Herren stecken. Bei abermaligem Hinsehen kommen mir Zweifel, ihr Auftritt erscheint mir für Fahrer alter Britladies nicht wirklich angemessen. Ihre Basecaps werfen tiefe Schatten über ihr Gesicht und die Freiheit ihrer Beinbewegungen ist durch halblange Jeans, die der Schwerkraft nur sehr mühsam etwas entgegenzusetzen haben, sehr eingeschränkt. Tief blicken lassen sie leider auch. Jungs, euer Dekolleté ist mal voll für den Arsch, geht das nochmals üben. Diese Kunst ist einzig und allein der lieblichen Frauenwelt vorbehalten, sie können das besser und eleganter, in der Tat. Nun sind sie bei mir angelangt, am Kühlregal mit den Yoghurts, die sogar nach Erdbeere schmecken können ohne diese beinhalten zu müssen. Schonung natürlicher Ressourcen. Andere wurden mithilfe Kuheuter gewonnen, deren Kühe kein genmanipuliertes Soja mehr zu sich nehmen müssen, um das weiße Gold aus den Zitzen sprudeln zu lassen. Fortschritt der Konsumerei.
„Get away with BSA“, spricht es erfreut aus mir heraus. Die beiden jungen Herren beeindruckt das wenig, nicht einmal ihre Schrittgeschwindigkeit verringert sich, keine Regung ihrer Physiognomie, nur ein gelangweiltes „Ach, sagt man das so?“, unbeirrbar ihren Marsch fortsetzend zu den Backcamemberts mit Preiselbeeren in der Ecke.
Zur Kassa, bitte!
Es hat mir den Anschein, dass diese beiden jungen Herren nicht wussten, was sich da in elegant geschwungenen Lettern auf ihren T-Shirts befindet. Der Bezug zu altbritischen Motorrädern, dieser war ihnen vielleicht noch bekannt, ansonsten nur modisches Accessoire. Zugang für jedermann. Warum nicht. Es gibt gar T-Shirts mit RAF-Logo oder mit dem Antlitz eines Che Guevara. Er fuhr übrigens auch Norton. Schön, diese alten Zeiten wieder aufleben zu lassen, textil zumindest. Kann ich es ihnen verübeln nicht zu wissen, was sie da tun? Ach lass´ sie laufen. Webe mir einen Gedankenteppich. Ich schwebe in ihm und mit ihnen. Nur in eine alte Junkers (Dessau, wo es auch hausBau gab) würde man mich hinein bekommen. Kein massentouristischer Habitus wohnt dieser inne.
Wann muss man wissen, was man wissen muss, was man wissen darf und was man wissen möchte? Wie sieht aufrichtiges Wissen aus, der Background des aufrichtigen Interesses? Ist nur der per Selbststudium gebildete Mensch der wahrhaft Gebildete? Muss immer die Rechnung „P=U mal I; Psociety = 1, 2, 3, 4, 5, 6. (Punkt!)“ mathematisches Maß vieler gesellschaftlicher Vorgänge sein? Ist mir aus diesem Grund bisher kein schlimmerer Mensch begegnet, als jener in Gestalt des aufstrebenden Schülers? Und sind Wissensmonster solche, die Wissen gegen andere Menschen einzusetzen wissen, Gebrauch von ihrer Waffe machen? Ist Mathematik das Druckmittel menschengemachter Bildung und Germanistik die Mathematik der Literatur? Sind andere Menschen, die von deinem Metier keine Ahnung haben wirklich blöd oder kann es nicht sein, dass sie einfach nur etwas anderes wissen?? Ein Teufelskreis mit zentripetalistischer Ausrichtung auf den Mittelpunkt: Besteht nicht das größte Problem darin, dass Schulbildung zu oft im Hinblick auf das spätere Berufsleben geschieht und somit der Blick für das Wesentliche verloren geht und dass wiederum diese Welt des Berufes die Menschen meist davon abhält, auf ihre geistigen Reserven zurückgreifen zu können? Wie wäre es mit einer Isolation der
Schulbildung von der Leistungsgesellschaft per Mondraketen? Kann nur so ein Funke überspringen?
Der Bub, der erforscht, dass der wehmütige Gesang aus herbstlaubfarbenem Wald von einem Rotkehlchen (Erithacus rubecula, zur Familie der Drosseln zählend) stammt, ist er nicht dem wahrhaftigen Wissen einen Schritt näher gekommen? Ein Mädel, das früh zur Musik findet und nicht getrieben wird? Ist hier der eigene Antrieb verborgen? Real existierendes Wissen. Synapsen wollen früh zu Wege gebracht sein, ihr feines Netz emsig gesponnen sein. Und warum gibt es Schüler, die nach Abhandlung der Emilia Galotti diese zerreißen und in den Mülleimer werfen? Die Klausur ist abgehakt.
Bis zum großen Feuer ist es nicht mehr weit,
bringen tut uns dies nur geistig Dunkelheit.
Und ist es nicht auch Physik, gedanklich ein Bild der Statik zu malen, indem man kein Träger einer Bildung sein möchte, die auf einem leistungsgesellschaftlichen Fundament fußt? Und was treibt Menschen zum Klau geistigen Eigentums? Ist ihnen nicht bewusst, dass sie sich damit selbst für die Verkümmerung ihres ureigensten Geistes verantwortlich machen, einen Verrat an sich selbst begehen?
Das höchste Engagement des Menschen besteht darin, einen gesunden Menschenverstand an den Tag zu legen. Wer lehrt uns dies?
Jetzt sind sie fortgefahren, in einem starken, knallorangenen Auto modern-amerikanischer Provenienz mit orangenen Plüschwürfeln am Innenspiegel. Sie regen sich über eine Frau auf, die ihnen zwei Sekunden zu langsam vom Parkplatz fuhr. Depressionen? Was können andere dafür, dass ihr Auto fahrt? Back to the issue of motorcycles, das beruhigt die Gemüter. Ich stehe mit den Krücken an meiner MZ TS 250 (The world´s best motorcycle running 365 days a year) auf dem Parkplatz des Supermarktes. Keine Ahnung, wie ich hierher kam. Vier Füße tragen schneller als zwei dies tun, heißt es. Sechs Wochen mit der S-und der Straßenbahn waren genug. Ich schnalle die Krücken quer auf die MZ aber in ihrer Länge verringert. Achtung mit den Rückspiegeln. Wir fahren unseres Weges. Zwei Wochen noch mit den Gehhilfen.
Keep on running…
Es grüßt aus Stuttgart alle Interessierten und Nichtinteressierten an der britischen Motorradkultur
Dominik.
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